Dieser Eintrag entsteht in der heimeligen Wärme des Elternhauses, denn für die vergangenen Weihnachtstage bin ich nach Hause zurückgekehrt. Man kann sich wahrscheinlich vorstellen, dass Weihnachten in islamischen Ländern mit wenigen Europäern und Christen nicht besonders prickelnd ist. Die wenigen Berichte an dieser Stelle in der letzten Zeit sind darauf zurückzuführen, dass ich in diesem Land nun Fuß gefasst habe und mir immer weniger Zeit für den Besuch des Internetcafés bleibt. Und das obwohl mir meine blauen Augen oder wahlweise mein deutscher Pass schon ein Freiabonnement im Internetcafé verschafft haben, denn der Besitzer verfügt über einen Sohn im heiratsfähigen Alter. Meine Wut, nicht wie ein normaler Algerier behandelt zu werden*, zwingt mich nun, möglichst nach anderen Internetcafés Ausschau zu halten.

Im November feierten die Muslime ihr größtes Fest (aid el kebir), in Deutschland „Opferfest“ genannt. Es findet immer zwei Monate nach Ramadan statt. Die Ursprungsgeschichte kennen wahrscheinlich die meisten, die von Abraham und seinem Sohn Isaak, der geopfert werden sollte. In letzter Minute zeigte Gott jedoch seine Gnade und sandte ein Schaf, das statt dessen geopfert werden sollte. Jede muslimische Familie, die es sich leisten kann, kauft sich also ein Schaf(vorzugsweise Hammel) oder ein anderes Tier und schlachtet es mit einem beherzten Schnitt am Hals. Für dieses Fest hatte mich meine erste Gastfamilie mit nach Marokko, zur Mutter meiner Gastmutter, eingeladen. Eine Gelegenheit für mich, ein traditionelles Fest in Familie zu erleben, und gleichzeitig eines der Nachbarländer Algeriens kennen zu lernen. Marokko habe ich als im Vergleich zu Algerien sehr offenes und modernes Land kennen gelernt. Gleichzeitig sind dort die arabischen und kabylischen Traditionen viel stärker erhalten geblieben. Das macht es zu einem attraktiven Reiseland, Grund genug es in den nächsten zwei Wochen noch einmal mit meinem Bruder zu bereisen. Das Opferfest war für meine Ex-Vegetarier-Seele recht hart mit anzusehen (s.u.), trotzdem eine interessante Erfahrung, die in ihrer aufgeregten Vorbereitung alle Muslime eint.

Die Uni ist langsam in Fahrt gekommen, eine erste Präsentation und schriftliche Arbeit habe ich hinter mir. Da es eine Gruppenaufgabe war, konnte ich feststellen, dass das Niveau im selbstständigen Arbeiten doch deutlich hinter den deutschen Studenten zurückbleibt, ebenso wie der Gebrauch neuer Medien, allen voran dem Internet. Wenn es gebraucht wird, so wurde von meinen Kommilitonen grundsätzlich jede Information geglaubt und nicht überprüft. Bei der beschränkten Internetkapazität im Lande ist es aber auch kein Wunder, dass der Umgang damit noch nicht von allen gelernt wurde. Ein Teil meiner Vorlesungen findet auf Arabisch statt, blöderweise scheinen mir die dortigen Professoren die interessantesten zu sein. Ich besuche die Fächer „Moderne algerische Geschichte“, „Geschichte des algerischen Befreiungskrieges“ und „Geschichte der Internationalen Beziehungen“ auf Arabisch. So mache ich mich eben immer auf mit meinem Wörterbuch und versuche wenigstens die ungefähre Thematik des Faches aufzuschnappen. Und siehe da: da das Vokabular der drei Fächer recht ähnlich ist, gelingt mir dies auch immer besser. Die inhaltliche Nachbereitung ist mit französischer Literatur möglich und auch meine Prüfungen darf ich dann auf Französisch machen.

Gleichzeitig wird mir dabei die desaströse algerische Sprachsituation immer deutlicher: Französisch ist weiterhin die Sprache der Eliten und der Wissenschaft auch wenn eine Arabisierungsbewegung in den letzten Jahrzehnten versuchte, den Einfluss der französischen Sprache auszumerzen. Bei dieser Bewegung wurde außer Acht gelassen, dass die tatsächliche Sprache des Volkes nicht etwa Arabisch ist, sondern ein fröhliches Gemisch aus Arabisch, Französisch und hier und da noch ein wenig Spanisch und Berbersprache**. Alles Offizielle geschieht also in zwei Sprachen, welche die Menschen zwar meist passiv, jedoch oft nicht aktiv beherrschen. Ihre Muttersprache, „das Algerische“ (das immerhin so stark von Arabisch variiert, dass ein Iraker den Algerier nicht versteht), wurde konsequenterweise nie anerkannt und nie kodifiziert. Während die marokkanischen Nachbarn stolz auf ihren Dialekt sind, sagt mir jeder Algerier, dass ich doch besser richtiges Arabisch lernen sollte. Wozu, wenn ich dann nicht richtig mit den Leuten kommunizieren kann? Ein verstärkender Faktor der ungeklärten Identitätsfrage der Algerier, aber aus meiner Sicht vor allem ein ernsthaftes und akutes Problem. Wie kommunizieren, wenn es keine gemeinesame Referenzsprache gibt? Jeder fügt nach Gutdünken hier ein französisches und dort ein arabisches Wort in den Satz ein. Das hat meiner Beobachtung nach häufig ein Präzisionsverlust der Sprache bzw. des Verständnisses durch den jeweiligen Gesprächspartner zur Folge. Scheinbar kann „der Algerier“ drei Sprachen sehr gut, aber keine davon so richtig, entweder weil er sie –wie Französisch und Arabisch – nicht ganz gelernt hat, oder es sie– wie das Algerische – „richtig“ gar nicht gibt. Dein Wortschatz und deine Ausdrucksweise hängen stark von deiner (Familien-)Umgebung ab.
Nach der ganzen Fußballaufregung um die Qualifikation Algeriens für die Fußballweltmeisterschaft 2010, die fast so spektakulär war wie die Frankreichs , lohnt es sich vielleicht noch etwas ausführlicher über meine Frauenfußballmannschaft zu schrieben. Frauenfußball gibt es in Algerien seit 1997 und zwar unglaublich erfolgreich. Inzwischen gibt es im Land rund 35 Vereine. Im letzten Jahr gab es sogar eine Bundesliga, die aber aufgrund Geldmangels wieder eingestampft wurde. Doch die algerische Nationalmannschaft sorgte immer wieder für Furore und sucht Kontakte weltweit unter anderem mit den deutschen Fußballerinnen. Als ich dann an die Tür meines jetzigen Vereines klopfte, wurde ich sofort mit offenen Armen empfangen. Ich hoffe sie erwarteten keine Birgit Prinz in mir. Inzwischen trainiere ich zweimal die Woche mit den algerischen Fußballerinnen. Während meiner momentanen Abwesenheit dürfte auch so langsam die Regionalliga anfangen. Bei meinen Mannschaftskolleginnen handelt es sich um Mädels zwischen 14 und 35. Sie kommen oft von weit her und stehen richtig offiziell unter Vertrag. Nur eine spielt mit Kopftuch -sicher die Frage, die den Leser am brennendsten interessiert. Sie ist jedoch Torwart. Die Mädels sprechen alle fast nur Algerisch und entsprechen wie schon an anderer Stelle erwähnt gar nicht dem Bild der Algerierin, das ich bisher entworfen habe. An Heiraten nicht zu denken, nach dem Training wird erst einmal eine geraucht und im Umgang miteinander kein Blatt vor den Mund genommen. Ein Trainingswochenende mit ihnen hat mir sehr viel Spaß bereitet und mir die Möglichkeit gegeben, etwas mehr über ihre besoondere Rolle in der Gesellschaft zu erfahren.

* vielleicht auch etwas zuviel verlangt und in so manchen Momenten konnte ich auf die Vorteile durch den deutschen Pass auch nicht verzichten
** am spannendsten dabei finde ich den Gebrauch französischer Verben, die dann nach Form des algerischen Dialektes konjugiert werden, z.B. das Verb „souffrir“, im Algerischen heißt „ich leide“ „nsouffre“, hocharabische Konjugation wäre übrigens „asouffru“ gewesen.
Opferfest

Nach 5 Wochen ohne definniertenn Wohnsitz, habe ich nun ein eigenes Zuhause. Seit ein paar Tagen auch mit fliessendem Wasser, ein kleines Privileg in Oran. Meine Mitbewohnerin in unserem „F3“, dh unserer 3-Zimmer-Wohnung, ist Ana, Spanisch-Lektorin an der Uni. Jetzt sind wenigstens die Sorgen zerstreut, dass ich mein Spanisch hier vergesse. Wie immer habe ich sehr viel Glück mit den Mitbewohnern und die letzten 4 Tage, in denen wir Stück für Stück die Wohnung herrichteten, habe ich sehr genossen.
Jetzt aber erst einmal einen Blick zurück. Vor zwei Wochen bin ich bei meiner ersten Gastfamilie, der des Deutsch-Lektors ausgezogen, weil die Nachbarn anfingen Probleme zu machen. Sie warfen ihm und seiner Frau vor, nicht genügend auf mich aufzupassen, denn natürlich beobachteten sie jeden Schritt, den ich außer Haus machte. Sie fügten irgendwann hinzu, dass es sicher bald Probleme geben werde. Und wenn die Leute das hier sagen, dann ist es auch so, und wenn es sie selbst sind, die diese Probleme verursachen. Im Mikrokosmos „Nachbarschaft“ bot ich anscheinend viel Gelegenheit, sich zu reiben und den Alltag interessanter zu machen: Wenn es keine Probleme gibt, werden sie herbeigeredet und so manches Mal legitimisiert man sie sich selbst, indem man sie vorhersagt und davor warnt. Ich selbst bekam von all dem recht wenig mit und war jedes Mal sehr ueberrascht, wenn ich erfuhr, was ich schon wieder alles „angestellt“ hatte, weil ich zum Beispiel um 18Uhr abends noch alleine rumgelaufen bin oder zu viele Worte mit dem Verkäufer der Bäckerei gewechselt hatte . Ich gab mir Mühe meine Bewegung und meine Kommunikation in der Nachbarschaft auf ein Minimales einzuschränken. Es fiel mir jedoch schwer, zum einen weil ich, wie ihr wohl wisst, eben gerne mit jedem ein kleines Schwätzchen halte, zum anderen, weil die Uni noch nicht angefangen hatte und ich Kontakte deswegen hauptsächlich in der Nachbarschaft knüpfen konnte. Schliesslich war die Konstellation so, dass ich besser meine Sachen packte und ging, um meiner Gastfamilie nicht unnötige Sorgen zu bereiten. Ich war zu diesem Zeitpunkt etwas verunsichert, dass egal wohin ich ginge, ich unwissentlich Probleme verursachen würde.

Meine nächste Station war also eine algerische Familie, deren Tochter Halima an der Universität im Büro für Internationale Angelegenheiten arbeitet und mit der ich mich etwas angefreundet hatte. Sie fragte ich also, ob ich bei ihr unterkommen könnte und mit algerischer (arabischer?) Gastfreundschaft sagte sie „Ja, wann kommst du?“. So zog ich also an das Ende der Stadt nach Aïn El Beida (Weisses Auge) in ein nur eingeschränkt urbanisiertes Viertel. In der 12-köpfigen Großfamilie war ich sofort ein Familienmitglied mehr. Da recht viele Frauen im Haushalt waren, gab es nicht viel zu tun und wir verbrachten viel Zeit beim Kaffeetrinken. Dadurch machte ich endlich die ersten Fortschritte im Dialekt-Arabisch. Die Frauen gingen nur selten aus dem Haus, den Einkauf besorgten die Männer: Die Familie besaß unten im Haus zwei kleine Läden, eine Art Kiosk und ein Sandwich-Laden. Davon ernährten sich alle. Es gab nur einen Wasserhahn im Haus, der Rest des Wassers musste immer überallhin transportiert werden. Man verbachte möglichst viel Zeit miteinander, so dass auch ich mir angewöhnte nach der Uni oder dem Arabisch sofort nach Hause zu fahren, weil sich auch sonst alle Sorgen um mich machten (auch sie ständig erfüllt vom Misstrauen gegenüber allem vor ihrer Haustür). Das fiel mir, noch nicht so lange der eigenen Familie entwachsen, jedoch ebenfalls recht schwer. So genieße ich nun in der neuen Wohnung meine freie Zeiteinteilung, mein eigenes Zimmer und das fliessende Wasser in vollen Zügen. Die Gastfreundschaft der Familie, ihre selbstverständliche Art, alles zu teilen und ihre Geduld im Gespräch mit mir bewundere ich jedoch sehr. Nicht alle in Algerien nehmen die Worte ihres Propheten so ernst.
So habe ich zum Beispiel letzte Woche einen der berüchtigten Orte kennengelernt, in denen Alkohol ausgeschenkt wird. Alkohol ist im Islam eigentlich hram, das heißt verboten. Für die Leute, die dem aus unterschiedlichsten Gründen nicht allzuviel Beachtung schenken, gibt es etwa 3 oder 4 Bars in Oran und noch ein paar kleine Geschäfte mit Sonderlizenz. In der Bar mit dem vielsagenden Namen „Die libanesische Nacht“ (der Libanon ist um ein vielfaches europäischer als Algerien) befanden sich außer zwei für hiesige Verhältnisse sehr leicht bekleideten Kellnerinnen nur Männer und schlürften ihr Feierabendbier. An der Wand hingen Gemälde mit Frauen in unterschiedlichsten Positionen. Die Bar befindet sich im Herzen der Stadt – zwischen französischem Konsulat und dem Hotel Royal – und gleichzeitig irgendwie außerhalb der Gesellschaft. Aber sie ist jedenfalls sehr strak frequentiert und zwar nicht nur von den Ausländern die sich nach einem Schluck Bier sehnen.
Eine weitere spannende „Subkultur“ ist das Frauenfußballtraining. Ich trainiere zwei Mal die Woche mit einer Gruppe junger Frauen, die momentan in der 2. Liga Fußball spielen. Gleich bei der ersten Begegnung überraschte mich ihre Gelassenheit und Offenheit. Sie waren viel weniger reserviert im Umgang mit mir und hatten auch keine Angst mal etwas lauter zu sprechen. Sie kommen meist von außerhalb Orans zum Training und scheinen den Ausflug aus ihren kleinen Dörfern in die Stadt sehr zu genießen. Soweit ich das einschätzen kann, haben sie alle zuhause keine leichte Stellung, entsprechen sie doch in ihrer physischen Konstitution häufig nicht dem typischen Frauenbild und verfolgen ein in der algerischen Gesellschaft wirklich nicht frauentypisches Interesse. Ich hingegen freue mich regelrecht, ein paar Frauen zu treffen, die über ein großes Selbstbewusstsein und einen ungezwungenen Umgang miteinander verfügen. Und meine Pässe werden jedes Mal präziser….
Die Uni nimmt hier langsam ihren Lauf, wobei es oft genug vorkommt, dass die Professoren nicht kommen oder gleich in der ersten Stunde ankündigen “Ich werde nicht oftzum Unterricht kommen, denn ich bin Chef des Instituts“. Bitte? Da ist aber jemand wichtig. In anderen Teilen der Uni, zum Beispiel der Sprachenfakultät haben die Kurse noch gar nicht angefangen. Offizieller Semesterbeginn war Ende September. Nicht umsonst befinden sich die algerischen Unis auf den letzten Plätzen in den internationalen Rankings. Bedauernswert, denn ich habe schon sehr viele sehr beeindruckende und gut ausgebildete Profs getroffen und viele junge Leute mit Lust, zu studieren und vielen spannenden Fragen auf dem Herzen. Die sozialistische Vergangenheit des Landes hat insofern positive Spuren hinterlassen, dass das Bildungsangebot groß ist und es für jeden Studenten ein Stipendium/eine Ausbildungsförderung gibt. Leider (manche würden sagen: in Konsequenz)ist die Qualität sehr schlecht und für die Studenten – vor allem die Studentinnen – mangelt es an Perspektive. Wenn sie studieren, dann eigentlich nur für sich selbst. Es sei denn man wählt „Instrumentation“ oder verwandte Studiengänge, die einen auf die Arbeit in der Erdölindustrie vorbereiten. 95% der algerischen Einnahmen sind aus dem Erdöl/-gas, mehr gibt es nicht in Algerien, alles andere wird importiert. Zucker und ähnliche Grundnahrungsmittel werden vom Staat hochsubventioniert, damit die Bevölkerung sie sich leisten kann. Es gibt also kaum andere Arbeitsplaetze. Sozialismus und Bodenschätze sind wahrhaftig keine gute Kombination für ein Land. Das mal als etwas simple Konklusion.
So weit, jeder Tag ist hier spannend und eine Erfahrung. Kommentare willkommen!

algerische Hochzeit

Gaeste

Gaeste

Das zweite Kleid

Das zweite Kleid

Die Braut kommt an

Die Braut kommt an

Die Gastgeberin mit Datteln und Milch

Die Gastgeberin mit Datteln und Milch

Nach viel Durcheinander der letzten Tage, hier einkurzes update. Seit gestern wohne ich uebergangsweise bei einer algerischen Familie, bis – hoffentlich bald – eine WOhnung fertig ist, die ich mit der Spanisch-Lektorin der Uni teilen werde. Dort habe ich dann mehr Unabhaengigkeit als bis jetzt, worauf ich mich sicherlich schon freue! Die algerische Familie einer Bekannten von mir hat mich ganz freundlich aufgenommen, als der Aufenthalt bei meiner Gastfamilie schwierig wurde. Ich lebe dort jetzt nach algerischem Standard (d.h. zum beispiel ohne fliessendes Wasser und mit einer ganzen Grossfamilie zusammen). Aber fuer mich ist das eine wertvolle Erfahrung und ob der begrenzten Zeit auch kein Problem.
Am Samstag wurde ich von meinen ehemaligen NAchbarn auf eine Hochzeit mitgenommen, von der ich hier ein paar wenige Bilder online stelle. Die Menschen sind hier uebrigens recht bilderscheu, weshalb ich euch nicht mit Fotos ueberhaeufe. Die Hochzeit war ein spannender Abend! Anders als in Deutschland verbringen Braut und Braeutigam den Abend lediglich „nebeneinander“, nicht zusammen, denn die Feier laeuft fuer Maenner und Frauen getrennt ab. Die Braut ist den Abend ueber hauptsaechlich damit beschaeftigt, ein schoenes Kleid nach dem anderen anzuziehen und sich darin zu praesentieren. Auf den Fotos seht ihr zwei davon. Auch gibt es keinerlei Programm sondern man sitzt einfach beisammen und redet, isst und tanzt.
Ein ausfuehrlicherer Bericht folgt bei Gelegenheit!

Brot und Spiele?

Mitschuelerinnen

Mitschuelerinnen

Meine Schule....

Meine Schule....

Mein Arabischkurs

Mein Arabischkurs

Algerien ist auf dem Weg zur Fußballweltmeisterschaft in Südafrika.  Mit einem 3:1-Sieg gegen Ruanda hat das Land die Tür zur WM weit aufgestoßen. Letzte Hürde ist ein Spiel gegen Ägypten, das nicht mit mehr als einem Tor Abstand verloren werden darf. Das Spiel gestern war ein nationales Großereignis, das schon seit Tagen die Titelseiten der Zeitungen bestimmte. Es war endlich Grund für die Algerier, ihre Nationalfarben herauszuholen, die sie sonst im Vergleich mit ihren Nachbarländern recht versteckt gehalten werden. Ab einer Stunde vor dem Spiel waren also alle Geschäfte geschlossen, damit die Männer Fernseher oder Radio auf der Straße aufbauen konnten. Ich habe das Spiel bei unseren Nachbarn drinnen geschaut, wo sich alle Frauen der Familie vor dem Fernseher versammelten. Als dann in der letzten  Minute Algerien noch einen Elfmeter zum sicheren Sieg verwandelte, war niemand mehr zu halten. Auch wir haben einen kleinen Frauenautokorso gemacht (was man nicht so alles tut, wenn man woanders ist ;-)), haben das Auto meiner Gastfamilie geschnappt und so bin ich mit 9 Leuten im kleinen 5-Sitzer – dementsprechend mussten auch Leute bin den offenen Kofferraum – durch die Stadt im Ausnahmezustand gedüst. Also mich bringt jetzt nichts mehr aus der Ruhe. Es hat Spaß gemacht zu sehen, wie die Leute auf der Straße tanzten und jubelten. Schade, dass ich zur WM nicht mehr hier bin.

Ausgelassenheit ist hier sonst die Ausnahme. Zu den für mich sehr negativen Eindrücken gehört bis jetzt das beständige Misstrauen und die Angst, welche die Gesellschaft normalerweise bestimmen.

Besonders mir sagt jeder, ich solle niemandem vertrauen. Die Algerier seien böse, man wisse nie, was einem passieren kann. Auch nachts auf die Straße solle ich nicht gehen. Auf meine Nachfragen hin, was denn so alles passiere hier, kann niemand von persönlichen Erfahrungen berichten, nicht mal der in anderen Ländern omnipräsente „Cousin“ wird angeführt. Man könnte folgern, dass es schlicht und ergreifend gar nicht so unsicher ist und die Algerier vielleicht gar nicht so böse. Viel eher jedoch gibt es wenig Erfahrung. Oft bleiben die Frauen tatsächlich zu Hause und vertraut wird nur der eigenen Familie und ganz wenigen Leuten aus dem nächsten Umfeld. Auch das kann sich jedoch jede Sekunde ändern. Dazu habe ich leider mit meiner Gastfamilie (ein Deutscher, seine marokkanische Frau und ein 6-jähriger Sohn) und den Nachbarn auch schon Erfahrungen gemacht. Beziehungen werden hier ständig gepflegt und auf sehr wenige Personen beschränkt. Vielleicht kann ich darüber später mehr erzählen, wenn ich etwas mehr Erfahrungen habe. Das Misstrauen herrscht auf allen Ebenen, politisch, auf der Arbeit, in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Man kann es vielleicht versuchen durch die langjährige Geschichte voller Gewalt zu erklären, aber ob das ausreicht? Angst ist eben auch immer ein Instrument der Mächtigen, die Massen hinter sich zu versammeln.  So ist die Bedrohung durch fundamentalistische Terroristen stets mit mehreren Artikeln in der Zeitung repräsentiert. Ständige Polizeipräsenz suggeriert zumindest mir auch alles andere als ein Gefühl der Sicherheit. Vielleicht kann das Brot auch durch Angst ersetzt werden. Bei der allgemeinen, saemtliche Gesetze brechenden Unordnung nach dem Fussballspiel war jedenfalls kein Polizist zu sehen.

Dass auf dieser Basis etwas entstehen kann, stelle ich mir sehr schwierig vor. Aber ich bin gespannt, was ich in diesem Sinne noch alles für Erfahrungen mache, denn dies ist wirklicher nur ein erster Eindruck.

Für mich beginnt hoffentlich bald der Unialltag, der nach wie vor auf sich warten lässt.

5. Oktober 2009

so zieht sich frau an

so zieht sich frau an

Als ich in Deutschland von meinen Plänen erzählte, nach Algerien zu gehen, konnte man in etwa zwischen drei Reaktionen unterscheiden. „Aha – ich kenn jemanden, der war mal in Marokko“, wenn die Region fuer den Zuhoerer Neuland war. „Wie kommst du denn auf die Idee, das ist doch gefährlich und dann noch als Frau!“ (diese Reaktion begegnete mir im Übrigen verstärkt in Frankreich bzw. bei Personen mit französischem Hintergrund. Das misstrauende Verhältnis zwischen Ex-Kolonie und Ex-Kolonialmacht scheint nicht nur einseitig zu sein), wenn die Leute etwas die Nachrichten verfolgt hatten. Und eine dritte, begeisterte Reaktion von einigen wenigen. Einzelne fügten dem noch die Information hinzu, dass ich Glück hätte, eine Frau zu sein. Meiner in Argentinien entwickelten Technik, aus allen erhaltenen Informationen eine Art gewichteten Durchschnitt zu bilden (wie die Gewichtung entsteht, keine Ahnung) um die richtige Antwort zu ermitteln, war es geschuldet, dass ich letztere Informationen zwar glauben wollte, aber nicht so recht konnte. Wer kann sich schon glücklich schätzen, nicht einfach in ein Café an den Straßenrand sitzen zu können, bei brütender Hitze lange Gewänder und Kopftuch zu tragen (und ja, ab und zu trage ich ein Kopftuch, auch wenn ich das keineswegs muss!) und nach Sonnenuntergang im Haus zu verschwinden? Glück haben, eine Frau zu sein, in einem muslimischen Land? Aus dem Blickwinkel einer europäischen Frau?
Schritt fuer Schritt nähere ich mich dem Hintergrund dieses Gedankens:
Männer gehen hier morgens aus dem Haus und, ob sie arbeiten oder nicht, sie sind bis abends nicht mehr dort erwünscht. Haben sie nichts zu tun, dann überbrücken sie eben einen halben Tag im Café bei einer einzigen Tasse Tee und warten.
Was hinter den Häusermauren geschieht weiss man nur als Frau. Nur als Frau geht man auf dem Markt einkaufen (naja, nicht ausschließlich), nur als Frau trinkt man stundenlang Tee und kennt sich bestes im Viertel aus. Und, was das Beste ist, nur als Frau geht man ins hamam (Bad).Diese Art des öffentlichen Badens hat sich meines Wissens nach aus den römischen Bädern entwickelt und wird fast im gesamten muslimischen Mittelmeerraum praktiziert.
Nachdem man einen halben Koffer an Pflegeutensilien und –produkten eingepackt hat tritt man in einen großen Raum, der von unzähligen steineren Waschschüsseln gesäumt wird, in die man ohne Unterbrechung heisses oder kaltes Wasser laufen lässt. Man hat einen kleinen Hocker oder eine Matte bei sich und setzt sich also vor eine solche Schüssel. Nun beginnt eine lange – bei unserem Besuch gestern etwa einstündige – Waschprozedur. Man schaufelt sich Wasser auf den Körper, und beginnt ihn abzureiben. Der Europäer verspuert dabei etwas Trauer, seine über den ganzen Sommer mühsam erarbeitete Bräune so mit aller Kraft zunichte zu machen. Immer und immer wieder reibt man seinen Körper ab, schrubbt sich gegenseitig den Rücken und seift sich mit einer Art Olivenöl ein. Immer und immer wieder. Man wäscht seine Haare, manche putzen gar ihre Zähne. Alles wird gründlichst gereinigt. Meine Begleiterin versuch, den anwesenden Frauen zu erklären, dass man in Europa ein solches Waschen nicht kenne. Alle blicken mich verwundert an. Gleichzeitig freuen sie sich für mich, daran teilhaben zu können.
Es ist ein spezielles Miteinander der Frauen, das hier existiert, ein Teilen von gewissen Geheimnissen, die nur sie etwas angehen. Im Hamam, beim Tee zuhause oder unterwegs beim Meistern der kleinen beziehungsweise speziell in Algerien oft grossen Hürden des Alltags, greifen sich die Frauen gegenseitig unter die Arme. Die Männer sind aus dieser Welt ausgeschlossen. Ihr Familienleben ist beschränkt auf frühmorgens und abends.
Viele kleine Erlebnisse betrachtend ist es hier vielleicht doch ein Glück, eine Frau zu sein.Frauenversammlung

Frauenversammlung
Fischerdorf

Fischerdorf

Angekommen

Freitag abend bin ich in Oran/Wahran angekommen. Gut, dass ich abgeholt wurde, denn alleine waere ich dort wohl nicht weit gekommen. Auch wenn sich schon beim Warten auf den Flug viele Leute als Helfer bereit erklaerten, scheint es bis jetzt kompliziert das Verkehrssystem zu verstehen und zu wissen wann man sich als Frau wo aufhalten sollte.

Ich wohne zur Zeit bei der Familie des DAAD-Lektors und wenn von dort die Fakultaet gut zu erreichen ist, werde ich wohl bleiben.  Heute war ich an der Uni, um mich vorzustellen und in den naechsten Tagen gibt es hoffentlich die ersten Vorlesungen. In jedem Fall sind hier alle sehr nett und hilfsbereit.

Eine Perle ist jedoch weder Oran noch seine Universitaet auf den ersten Blick, aber deswegen bin ich auch nicht hierhergekommen.

Die Internet-Situation sieht im Moment noch recht mager aus, also nicht wundern, wenn ich mich selten melde. Aber vielleicht tut sich da noch etwas.

So oder so moechte ich meine Zeit erst einmal mit Arabisch lernen verbringen, denn im Alltag komme ich damit auf jeden Fall weiter als mit Franzoesisch.

Liebe Gruesse aus dem Sueden Lisa

Hallo, hello, hola, salut!

Das soll auch der einzige „Satz“ an dieser Stelle in verschiedenen Sprachen gewesen sein. Vor mir liegt ein halbes Jahr an der Universität von Oran, Algerien, wo ich mein 5. Studiensemester verbringen werde. Ihr seid herzlich eingeladen, mein Tun zu verfolgen, meine Berichte zu kommentieren oder Fragen zu stellen!

Lisa